#03- Osmotischer Stress und sommerliche Fressattacken

Auf Gold kann man verzichten, nicht aber auf das Salz. 
Zitat 
Cassiodor

Das hier wird nun ein sehr persönlicher Post, den ich mit euch teilen möchte. Als ich dieses Programm begonnen habe zu planen, war es September. Konkreter wurde es im November. Am Ende fertig zum Beginn war es dann März und tatsächlich damit begonnen habe ich im Mai. Jetzt haben wir Juli - es ist die heißeste Zeit des Jahres.

Ich plante das Programm nach meinen jahrelangen Erfahrungen - war aber nicht darauf vorbereitet, dass ich während unserer Journey die Jahreszeiten vollmachen würde und dabei noch über weitere Punkte stolpern würde, warum wir nicht satt werden - und Punkte, die ich noch nicht gelöst hatte!

Seit meinem 12. Lebensjahr habe ich immer im Sommer wieder zugenommen. Meine Esstörungsphasen hatte ich immer in der Hitze. Plötzliche Fressanfälle, unstillbarer Hunger, schlechtes Gewissen, schlimmes Körpergefühl. Ich habe mich geschämt. Ich habe meinen Sport reduziert, weil ich ja zugenommen habe. Meine Leistungen brachen ein. 

Die innere Stimme: „Du bist halt doch nicht für den Profisport geeignet…!“ Setzte sich durch und ich steckte meinen Kopf in den Sand. Tür zu, Licht aus. Lasst mich bloß in Ruhe. Loch tu dich auf und verschlucke mich. 

Ich dachte da als Jugendliche also immer, das ist halt meine Undiszipliniertheit. Ich muss disziplinierter mit dem Hunger werden. Interessanterweise hat sich das aber immer wieder gegeben, sobald es kühler wurde. Es war nur so unauffällig, dass es unter meinem Radar verschwand. 

Jetzt war es während dieses Programms aber wieder soweit! Es wird heiß und bei mir schlägt wieder der unstillbare Hunger ein! Ich hätte mir die Haare raufen können!

Dieses Mal jedoch ist es anders. Warum? Wegen euch! Ich predige euch ständig, dass der Hunger nicht von irgendwoher kommt, sondern weil uns was fehlt. Ich weiß es ja. Ich wusste nur nicht, WAS! Alte Muster kamen daher und ich hätte mich am liebsten versteckt, aber das ging ja nicht, ich hab ja euch!

Es wurde also höchste Zeit, dass ich auch dieses Mysterium löse! Wenn schon nicht für mich, dann doch aber für euch! 

„Jetzt kann ich nicht klein beigeben! Ich habe ein Committment an euch abgegeben, dass ich euch SATT mache!“

Da ich jetzt einen neuen Trainer habe, für den ich täglich das Essen tracke, mein Training dokumentiere und wir aufmerksam meinen Fortschritt beobachten, haben wir diesmal genau hinschauen können.
Oh Gott, und ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten drei Wochen meinen Kopf in den Sand stecken wollte und Thomas sagen wollte: "OK. Lassen wir es einfach. Ich bin ein unlösbarer Fall."
Ehrlich gesagt, ich dachte: "Ich weiß doch schon alles! Und ich versorge mich doch schon mega gut! Das KANN nicht an meiner Versorgung liegen!"

Aber Thomas ließ nicht locker. "Solange du solche Ausfälle hast, stimmt einfach was noch nicht! Wir suchen weiter!"

Da stellte sich heraus, dass ich:

  • vor allem in der zweiten Zyklushälfte mit den Fressattacken zu tun habe
  • Vor allem nach langen Trainingseinheiten im Freien (also in der Sonne)
  • Interessanterweise immer dann, wenn es heiß ist (ich trainiere im umklimatisierten Dachgeschoss)

Wir recherchierten Studien. Zum ersten Mal stolperte ich über eine Studie, die zeigt, dass 66% der Frauen, die Marathon laufen, mit Binge-Eating (also Fressattacken) zu tun haben. (Und etwa 30% der Männer). Da war ich zugegeben jetzt doch etwas erstaunt! Sogar bei den Profis?

Und mal ehrlich: Wir Sportler sind so fricking diszipliniert, das KANN nicht an der mangelnden Disziplin liegen!!!! 

Wir forschten weiter. Wow, auch die Läuferinnen haben vor allem in der zweiten Zyklushälfte damit zu kämpfen. Und vor allem in der Hitze. 

Und jetzt kommt’s: Wenn wir den Progesteronhochstand beachten, der dafür sorgt, dass wir als Frauen in dieser Zeit sehr leicht dehydrieren, weil der Körper ganz sensibel auf Salzverlust reagiert, dann haben wir eine sehr einfache Ursache dafür:

 

BINGO! OSMOTISCHER STRESS!

 

Was ist osmotischer Stress?

Unser Körper braucht Salz um Wasser zu speichern. Ohne Salz im Körper läuft das Wasser einfach nur durch. Klar, wenn wir also wissen, dass unser Körper in der zweiten Zyklushälfte mehr Wasser einlagern möchte für eine mögliche Schwangerschaft, ist natürlich der „Salz-Sensor“ im Körper auf einen wesentlich höheren Salzbestand eingestellt und vermeldet viel schneller einen Mangel. Bzw. um das MEHR an Wasser speichern zu können, benötigt er schlicht und ergreifend auch einfach MEHR Salz. 
Das Zum Thema bei uns Frauen in der zweiten Zyklushälfte im Zusammenhang mit Salz.

Osmotischer Stress entsteht dann, wenn wir zu viel Salz verlieren, denn dann kann der Körper das Wasser nicht mehr ordentlich in die Zellen transportieren. Die Zellen melden also: „Hilfe, wir sind durstig!“, aber das Wasser rauscht gerade so vorbei, weil nicht ausreichend Kalium und Natrium vorhanden sind, um das Wasser zu halten. 

Im Gegenteil, das Wasser spült aus den Zellen noch Kalium und Natrium heraus! 

Das führt zu einer ausgewachsenen Dehydrierung, obwohl genug Wasser vorhanden ist = osmotischer Stress

Hohe Salzverluste werden mit einer Reihe von Problemen beim Laufen in Zusammenhang gebracht. Diese reichen von vergleichsweise harmlosen Krämpfen bis zur Hyponatriämie.
Hyponatriämie ist eine Wasservergiftung, die durch zu viel Trinken, vor allem von reinem Wasser, verursacht wird. Hierdurch werden Mineralien herausgeschwemmt und das Gehirn quillt auf. Dies kann tödlich verlaufen.

Um jetzt das Sterben vorzubeugen, schaltet sich das Steinzeitgehirn ein. Es weiß ja schließlich: Mehr Wasser trinken bedeutet nichts Gutes, wir brauchen erst mal wieder Salz!
Also wird der Durst abgestellt und der Hunger muss hochgefahren werden. 

Dafür wird Cortisol ausgeschüttet - mittlerweile kennst du dieses Hormon ja schon sehr gut! Die Fettverbrennung wird also gestoppt, unsere Proteinreserven für die Glukoseproduktion benutzt und wir bekommen HUNGER. Weil der Körper Salz braucht und das bekommt er nicht über das Wasser, sondern über die Nahrung! 

Dieser Hunger fühlt sich übrigens ganz seltsam an.

  • Er beginnt mit einem Druck im Kopf und man fühlt sich ein bisschen benebelt.

  • Anders als bei normalem Hunger, der ja mit einem Loch im Bauch startet.

  • Oder der Unterzucker, der mit Schwindel und einem Schwächegefühl startet.

  • Oder emotionalem Hunger, das mit einem Bedürfnis sich zu trösten startet.

  • Oder beim Stress Hunger, der mit dem Bedürfnis nach Ruhe startet.

Beim Osmotischen Stress - also Elektrolytmangel - bin ich gerade noch gut gelaunt und high vom Sport, nehme meine PWN, gehe Duschen, und etwa eine Stunde später beginnt der Druck im Kopf. Die Gedanken kreisen plötzlich nur noch um das Essen und nichts anderes mehr passt in die Aufmerksamkeit. Dann beginne ich zu essen. Und zu essen und zu essen. Und weil das Essen, zu dem ich greife, ja das GESUNDE Essen ist (ich will mich ja GUT versorgen! Und ich mag keine Chips und salzige Cracker... ich bin eher der Süßkramtyp...), geht das dann auch gerade munter so weiter.

Ich WETTE, bei den Salzstangen-Typen kommt jetzt ein Satt-Effekt! Das würde auch exakt zu den Studienergebnissen passen, denn statistisch gesehen sind etwa 2/3 aller Frauen Süß-Nascherinnen, während etwa 1/3 der Frauen auf Sauer/Salzig abfahren. Wahrscheinlich sind auch das die 33% der Profi-Marathon Frauen, die sich danach mit den Salzstangen auf die Couch knallen! Was für ein immenser, instinktiver Vorteil!!!

 

Wie dosiert man also richtig?

Der menschliche Körper enthält ca. 250 Gramm Salz. Es wird vor allem zur Regulierung des Wasserhaushaltes, für die Verdauung, dem Knochenaufbau und für das Nervensystem benötigt.

Kann man also Salz überdosieren? 
Bereits eine Menge von 1-3 Gramm Kochsalz pro Kilogramm Körpergewicht kann realistisch zum Tode führen. Dies wären bei einem Erwachsenen ca. 10 Esslöffel Speisesalz am Tag, was bei einem 80kg schweren Menschen zwischen 80-240g Salz wären. Aber so viel Salz nimmt niemand freiwillig zu sich. Vorher würde man sich erbrechen oder angewidert die Aufnahme abbrechen. So wird sogar bei Vergiftungen bewusst ein Erbrechen durch hypertonische Salzlösungen herbeigeführt. 

Auf der anderen Seite benötigt der menschliche Körper jedoch täglich zwischen 3 bis 5 Gramm Salz.  Eine Zufuhr von weniger als 2 Gramm Salz kann zu Mangelerscheinungen führen. Das Durstgefühl wird dabei unterdrückt (um nicht noch mehr Salz zu verlieren) und der Körper beginnt auszutrocknen. Treibt man dagegen viel Sport oder schwitzt man viel, kann der tägliche Salzbedarf schnell auf 20 Gramm ansteigen.

Die Antwort auf die Frage wie viel Salz für Sportler die optimale gesunde Menge ist, hängt von einer Vielzahl Faktoren ab – vom Wetter bis zur Physiologie des Läufers. Ein stark schwitzender Athlet mit hoher Salzkonzentration kann bei einem 5-km-Lauf (bzw. ca. 1/2 Stunde Sport) ohne Weiteres 1300 Milligramm Natrium (=3g Salz) verlieren, während es bei einem schweißarmen Läufer vielleicht nur 155 Milligramm sind. 

 

Damit du einen etwas besseren Anhaltspunkt hast, wieviel Salz du benötigst, habe ich dir hier eine Tabelle zusammengestellt, an der du dich orientieren kannst:

Hier ein sehr guter Link:

https://www.runnersworld.de/gesund-essen-trinken/wie-viel-salz-brauchen-laeufer/

Ja, ich schwitze wie ein Wasserfall beim Sport und vor allem bei den Temperaturen, klar! Ich verliere also gefühlte Tonnen an Salz! 

Du auch? Na, dann Lauscher aufsperren!

Ein Sportler kann also leicht mal in einer halben Stunde 1.300mg Natrium ausschwitzen, was etwa 3 Gramm Salz entspricht. 
Trainiere ich also eine Stunde, verbrauche ich also gut und gerne 6 Gramm Salz!
Den Rest der Hitzetage und des kontinuierlichen Wasserfalls, der meinen Nacken hinabläuft, mal ganz abgesehen! 

Jetzt haben wir meinen Kalium und Natrium Bedarf errechnet und ich liege bei MINDESTENS 15 Gramm extra! Das ist so viel Salz, was normalerweise für Fastenkuren zum Abführen benutzt wird, deshalb ist es mir auch nie in den Sinn gekommen, bewusst so viel Salz zu mir zu nehmen! 

Tatsächlich musste ich - betroffen vom osmotischen Stress - 5 Tage lang eine Dosis von 25g am Tag nehmen, bis sich meine Fressattacken von selbst regulierten. Am 7. Tag bemerkte ich, dass es in die andere Richtung ausschlug und wir senkten die Salzeinnahme wieder ab auf 10-15g an Sporttagen. An Sportfreien Tagen genügt es völlig, normal zu essen. 

Bei sommerlichen Hitzetemperaturen und bei viel Sport ist das aber anscheinend genau die Dosis, die ein Sportler/in braucht, um wieder ohne Verstopfung aufs Klo gehen zu können. Bekommst du davon Durchfall, dann weißt du: Aha! Morgen vielleicht etwas weniger!

 Seit ich darauf jetzt achte, ist es RUM mit dem HUNGER und ich werde SATT! Auch in der HITZE!

Hier geht’s zu meinem Rezept „Anja’s Elektrolytdrink“ Du benötigst nämlich zusätzlich noch Magnesiumcitrat, Vitamin C und Glukose, damit dein Körper Natrium und Kalium aus dem Salz aufnehmen kann!

 

Das Vorurteil von "Zu viel Salz!"

Wenn du vom Osmotischen Stress betroffen bist, dann hast du sicher auch schon mal davon gehört, dass man zu viel Salz essen kann. Und dass wir uns damit überdosieren. Der deutsche Durchschnittsbürger ohnehin zu viel Salz zu sich nimmt... 

Nun. Wir sind aber auch nicht auf einem Schiff und auch nicht Seeleute, denen das Wasser ausgeht und sie plötzlich nur noch das Meerwasser zum Trinken haben. 

Tatsächlich reguliert der Körper ein zuviel Salz ganz simpel: Mit mehr Durst! Wir trinken dann einfach wie ein Kamel Wasser! Und zwar so lange, bis der Durst erlischt. Tadaaa! Problem gelöst. Und umgekehrt, sollte jetzt wieder zu wenig Salz im Körper sein, bekommen wir wieder Hunger. Eine recht einfache und im Grunde von Mutter Natur gut durchdachte Regulierung. 
Wie ein Pendel, das hin und her schwingt und nach Balance sucht. Zuviel Salz - mehr Durst - zuwenig Salz - mehr Hunger.

Also kann ich dir hier nur meine Erfahrung damit mit auf den Weg geben. Auch deine Angst vor zu viel Salz darfst du ablegen. Dein Körper wird das regulieren! 

Und lieber lagern wir das eine oder andere Kilo Wasser ein, als unsere Fettdepots wegen unkontrolliertem Hunger aufzufüllen!!!

 

Während ich das hier schreibe, könnte ich lachen und weinen zugleich. Wie konnte mir das nur für so eine lange Zeit entgehen?! 

Ich erinnere mich an die Läufe in der Hitze, an die Fahrradtouren in der prallen Sonne… und den nie schließen wollenden Kühlschrank danach. Die Schuldgefühle, das beschissene Körpergefühl. Der Frust darüber, vom Sport auch noch zuzunehmen! Das was ich am liebsten tue, mir durch das Essen verderben zu lassen!

Das Mountainbike Fahren habe ich deshalb aufgegeben!!! Weil ich davon im Sommer immer zugenommen habe!!!

Und jetzt nach all den Jahren, schließt sich der Kreis und … ja! Öffnet sich endlich eine Türe! Ich war also nicht im Übertraining (bzw. war das nicht der Grund für die Fressgelage), ich war einfach nur dehydriert, im osmanischen Stress und habe es nicht bemerkt, da ich - wie mein Mann das oft leidvoll mit „heute knuspert der Salat vor Salz…“ betitelt - ohnehin gern salzig koche. Jedoch hatte ich die MENGEN nicht auf dem Schirm! 

Ja, Ladies, die Studie mit den 66% der Profi Marathonläuferinnen (und 33% der Männer) haben mit Fressattacken in der Hitze zu tun… beruhigt mich irgendwie und macht mich äußerst stutzig zugleich. Einerseits zeigt es mir, dass unsere weiblichen Körper (und in diesem Fall ja auch die Männer) einfach alle den gleichen Prinzipien unterworfen sind - und andererseits zeigt es mir, was wir mit Unwissen unseren Körpern antun und wie wichtig es ist, hier genau zu werden! 
... Übrigens passen auch die Männer voll in die Statistik, denn sie sind überwiegend salzige Nascher und nur ein kleiner Anteil dem Süßkram zugetan. Spannend, oder???!!!

Du kennst also jetzt die Zusammenhänge! Lass deinen Körper in der Hitze nicht in osmotischen Stress geraten und sorge gut für ihn - vor allem in der zweiten Zyklushälfte!

 

 

Ohne Salz ist das Leben nicht süß

Altes Russisches Sprichwort

 

Nichts ist nützlicher als Salz und Sonne. 

Isidor von Sevilla, Etymologia (7. Jhrh)

 

So hoch hat Gott den Menschen getrieben und gezwungen, dass er nicht ohne Salz leben kann oder mag, sondern muss dasselbige haben. 

Paracelsus, Von den natürlichen Dingen, 1525

 

Richte daher deinen Sinn auf das Salz und beschäftige dich nicht mit anderen Dingen. 

Rosarium Philosophorum, 1550

 

 

 

 

 


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